Kryptowährungen sollen immaterielle Wirtschaftsgüter sein
/Gemäß dem Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 11.06.2021 (5 K 1996/19) sind Kryptowährungen immaterielle Wirtschaftsgüter. Veräußerungsgewinne von Kryptowährungen stellen sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften dar.
Was war der Sachverhalt?
Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für 2017 Gewinne aus dem Handel mit Kryptowährungen. Der Handel für ihn und seine Frau wurde von seinem Sohn treuhänderisch betrieben. Der Kläger hatte sich mit einer Geldzahlung am Portfolio seines Sohnes beteiligt. Über die jeweiligen Beteiligungsquoten am Gesamtdepot der Eltern und des Sohns herrschte Einigkeit. Der Sohn kaufte zunächst mit US-Dollar (USD) die Kryptowährung Bitcoin. Daraufhin handelte er mit Teilen der Bitcoin-Bestände direkt, während er andere Bitcoins aus dem Bestand zum Erwerb weiterer Kryptowährungen nutzte. Er war hierzu bei sechs internetbasierten Handelsplattformen angemeldet. Er erwarb und veräußerte Kryptowährungen innerhalb eines Jahres. Die Gewinne berücksichtigte das Finanzamt als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.
Der Kläger legte Einspruch ein. Es liege kein „anderes Wirtschaftsgut“ und damit kein Veräußerungsgeschäft vor. Kryptowährungen seien kein Wirtschaftsgut. Außerdem gebe es bei der Besteuerung von Einkünften aus dem Handel mit Kryptowährungen ein strukturelles Vollzugsdefizit, das dem Gesetzgeber zurechenbar sei. Eine Besteuerung hänge von der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen ab. Mitteilungspflichten über den Übergang von Bitcoin und anderen Kryptowährungen von oder auf einen Steuerpflichtigen gebe es nicht. Ferner unterliege eine Kryptobörse nicht dem automatisierten Kontenabruf.
Das FG Baden-Württemberg teilte die Auffassung des Klägers nicht:
Der steuerrechtliche Begriff des Wirtschaftsguts ist weit zu fassen und auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszulegen. Er umfasst sämtliche vermögenswerten Vorteile, deren Erlangung sich der Steuerpflichtige etwas kosten lässt und die einer selbständigen Bewertung zugänglich sind. Auch sei das Merkmal, dass der Erwerber des gesamten Betriebs in dem Vorteil einen greifbaren Wert sehen würde, erfüllt.
Der Kläger hat beim Erwerb der Kryptowährungen zumindest einen vermögenswerten Vorteil erlangt. Im Blockchain der Kryptowährung wird dem Kläger verbindlich ein Anteil an der Währung zugerechnet, der allein ihm (dem Inhaber des öffentlichen und des privaten Schlüssels) zusteht. Damit ist eine Chance auf Wertsteigerung und zum anderen auch die Möglichkeit, die Kryptowährung als Zahlungsmittel zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen zu verwenden, verbunden.
Dass die Kryptowährungen einer gesonderten Bewertung zugänglich sind, zeigt schon deren Handel an speziellen (Internet-)Börsen. Dort wird der Wert der Kryptowährung anhand von Angebot und Nachfrage ermittelt. An einer Übertragbarkeit von Kryptowährungen kann aus diesem Grund nicht ernsthaft gezweifelt werden. Die technischen Details der Kryptowährungen sind für die rechtliche Bewertung des Wirtschaftsguts nicht entscheidend.
Ein strukturelles Vollzugsdefizit liegt nicht vor, auch wenn sich die meisten Handelsplattformen für Kryptowährungen im Ausland befinden. Die Finanzverwaltung ist bei Sachverhalten mit Auslandsberührung generell auf eine erhöhte Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen. Nationalstaatliche Souveränität kann der deutsche Gesetzgeber nicht verändern. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe sowie Sammelauskunftsersuchen zur Einholung der erforderlichen Auskünfte bei Internethandelsplattformen sind möglich.
Kryptobörsen sind als multilaterales Handelssystem Finanzdienstleistungsinstitute. Als solches unterliegen sie der Identifizierungspflicht. Sollte die Kryptobörse zudem Finanzkommissionsgeschäfte betreiben, ist sie sogar ein Kreditinstitut und unterläge somit dem Kontenabruf.
Auch wenn sich private Veräußerungsgeschäfte mit Kryptowährungen, die es im Streitjahr erst seit ca. 8 Jahren gab, nur schwer aufdecken lassen, reicht dies für sich allein noch nicht zur Begründung eines strukturellen Vollzugsdefizits aus.
Der Gesetzgeber ist weder verpflichtet noch dazu in der Lage, auf jede (technische) Neuerung sofort regulatorisch zu reagieren. Er hat einen weiten Ermessenspielraum und darf zunächst deren erste Entwicklung abwarten. Er muss im Sinne einer gleichmäßigen Besteuerung erst dann reagieren, wenn sich gravierende Missstände zeigen. Solche bestanden nach Ansicht des Senats bis zum Streitjahr jedoch noch nicht.
Ist dieses Urteil rechtskräftig?
Die Revision ist beim Bundesfinanzhof anhängig. Das Aktenzeichen ist noch nicht bekannt. Es bleibt abzuwarten, ob der Bundesfinanzhof der Auffassung des Finanzgerichts folgt. Eine höchstrichterliche Entscheidung würde endlich für mehr Klarheit sorgen.
Dieses Urteil unterscheidet sich von den bisher ergangenen Urteilen (Finanzgericht Nürnberg, Beschluss vom 08.04.2020 - 3 V 1239/19 und Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 20.06.2019 - 13 V 13100/19). Die anderen Urteile waren “nur” Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Aussetzung der Vollziehung). Es wurde in diesen Urteilen die Rechtsgrundlage nur angezweifelt, jedoch inhaltlich nicht im Detail geprüft.
Das obige Hauptsacheverfahren ist von besonderer Bedeutung, da nun erstmals eine Entscheidung über die Besteuerung von Kryptowährungen an sich gefällt wurde.
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